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"Betrunken war er nicht mehr berechenbar"

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Von: Xaver Eichstädter

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Zeigt bislang so gut wie keine emotionalen Regungen: Der Angeklagte Christoph R. © xe

Traunstein/Bad Reichenhall - Am fünften Prozesstag kamen weitere Zeugen zu Wort. Eine Zeugin erkannte Christoph R. wieder, andere Aussagen sorgten eher für Verwirrung im Gerichtssaal.

++ Der Prozess wird am Freitag um 9 Uhr fortgesetzt. Dann wird mehr zur Vergangenheit von Christoph R. im Kinderheim bekannt: Frühere Heimbewohner sagen ebenso aus, wie der Leiter des Heims. Auch die Mutter des verdächtigten Mörders wird in Traunstein erwartet. ++

Die wichtigsten Erkenntnisse des fünften Prozesstages:

- Ein Kumpel des Opfers Alfons S. berichtet über den letzten gemeinsamen Abend. Alfons sein ein "Juwel von Bad Reichenhall" gewesen.

- Zwei weitere Zeugen schildern unheimliche Begegnungen in der Tatnacht - mutmaßlich mit dem Angeklagten. Eine Zeugin berichtet, dass sie am Bahnhof fast umgerannt wurde von einem jungen Mann. Ein anderer Zeuge erzählt von einer Beobachtung um 3.45 Uhr. Ein junger Kerl stand auf dem Dach seiner Gartenlaube und rief ihm zu: "Ich komme aus Berchtesgaden und bin der Alexander, Denken Sie sich nichts, ich bin der Nachtwanderer."

- Anschließend wurden erneut Bundeswehrsoldaten befragt. Ein Zimmerkamerad von Christoph R. sagte aus, dass sich der Angeklagte mit einem Zeugen vom Dienstag mal darüber unterhielt, wie man am besten einen Menschen ermorden könne und die Tat vertuschen kann.  

- Ein anderer ehemaliger Kamerad berichtet davon, dass er den Angeklagten schon häufiger aggressiv erlebt habe. Außerdem wäre Christoph R. bei einem gemeinsamen Italien-Urlaub von der Polizei als Dieb erwischt worden.

UPDATE 16 Uhr: Auf Diebestour in Italien

Wieder ein ehemaliger Kamerad, der nicht das Beste über Christoph R. erzählen kann: Sein Ehrgeiz in der Truppe habe mit der Zeit nachgelassen: "Zuletzt war er dann sehr unmotiviert." Am Wochenende und in der Freizeit habe es auch Auffälligkeiten gegeben: "Oft konnte man nicht mehr nachvollziehen, was er macht. Gegen Unbeteiligte wurde er öfters aggressiv", so der Zeuge. Mehr als fünf Mal habe er es erlebt, dass Christoph R. dabei Leute angerempelt hätte oder Ähnliches: "Betrunken war er nicht mehr berechenbar."

Der Zeuge erzählt auch von einem gemeinsamen Wochenende in Triest. Es wurde gegrillt, viel Bier getrunken. Als alle im Bett waren, war Christoph R. wohl auf Diebestour: "Am nächsten Tag lagen Bargeld und Kopfhörer bei uns. Vor dem Bungalow Polizisten, die auf ihn gedeutet haben." Nachdem die Burschen auf dem Revier waren, mussten sie das Land "auf Befehl der italienischen Polizei" verlassen. Ab dann hätte persönlich Funkstille zwischen den beiden geherrscht: "Es waren ständig schlechte Erfahrungen mit ihm."

Von einem Geständnis Christoph R.s vor anderen Kameraden will auch dieser Zeuge nichts gehört haben: "Das hätte ich gemeldet." Dass Christoph R. also bei einer Zigarette von seiner Bluttat gesprochen hatte, wie es andere Zeugen berichteten, wurde letztlich von keinem einzigen Bundeswehr-Soldaten an einen Vorgesetzten weitergegeben. Ein Fazit nach zwei Tagen, an denen ein Kamerad nach dem anderen vor Gericht erschien.

UPDATE 13.25 Uhr: Weitere Soldaten sagen aus

Der Richter lässt alle Bundeswehr-Soldaten zuerst gemeinsam vortreten. Nachdem sich zwei ehemalige Kameraden von Christoph R. am Dienstag die Infos nur sehr widerwillig aus der Nase ziehen ließen oder sich an nichts mehr erinnern wollten, schickt es Klaus Weidmann gleich voraus: "Gestern war das ziemlich zäh. Eventuelle Freundschaften dürfen hier keine Rolle spielen!"

Mit dem ersten Bundeswehr-Zeugen war Christoph R. damals befreundet. Im Gegensatz zu den Zeugen am Dienstag tritt er selbstsicher auf. Gelegentlich unternahm man privat etwas, schaute Filme, war zusammen trinken. Als aufgeschlossen, humorvoll, engagiert und "für jeden Spaß zu haben", beschreibt der Zeuge den Angeklagten. Gab es Probleme bei Ausflügen ins Nachtleben mit Christoph R. wenn er betrunken war? "Nein, keinesfalls."

Die bisherigen Zeugen beschrieben ihn eher anders: Ruhig, eher zurückgezogen - und mit Alkohol auch manchmal aggressiv. Und das Geständnis von Christoph R. im Rauchereck am 14. Juli? "Da war ich nicht dabei. Ich habe nichts gehört." Der Richter ist skeptisch. Erst am Dienstag gaben andere Kameraden an, der Zeuge hätte die Gespräche durchaus gehört. Kam es ihm nicht komisch vor, dass ihn andere Kameraden auf die Gerüchte und die Gespräche anredeten? Die knappe Antwort: "Nein."

Überhaupt will der Zeuge erst Wochen später zum ersten Mal davon gehört haben, dass ein Kampfmesser eine Rolle spielte. In den Tagen nach der Tat hätte sich Christoph R. "vollkommen normal" verhalten. Auch er habe Skyrim gespielt ("ein sehr gutes Spiel") - Augen ausstechen oder Gegner von hinten attackieren würde im Spiel aber nicht besonders belohnt.

Der nächste Zeuge vor Gericht war ein Zimmerkamerad von Christoph R.: "Er ist sehr ruhig und zurückhaltend gewesen." Von der Tat habe er erst ein paar Tage später gehört, auch mit Christoph R. habe er nicht darüber geredet. Aus den Vernehmungen der Polizei ging aber hervor, dass sich der Angeklagte mit einem am Dienstag geladenen Kameraden auch darüber unterhielt, wie man am besten einen Menschen ermorden könne - und wie man diese Tat am besten vertusche.

UPDATE 11 Uhr: Zeugin erkennt Christoph R.

Auch am heutigen Mittwoch wird Christoph R. wieder in Bauchgurt, Handschellen und Fußfessel vor das Traunsteiner Landgericht gefahren. Man merkt, dass ihm der Umstand nicht gefällt. Andere werden die Sicherheitsmaßnahmen dagegen bestimmt gerne sehen: Auch Sarah F. hat sich heute wieder für einen Besuch im Gerichtssaal entschieden. Sie macht einen äußerlich entspannten Eindruck, nimmt neben der Nebenklage Platz.

Ein weiterer Kumpel von Opfer Alfons S. muss als erster in den Zeugenstand. Zusammen war man in der Tatnacht im "P42", dann trennten sich die Wege. Die beinahe obligatorische Frage des Richters, wie viel Alkohol im Spiel war: "Wir waren definitiv betrunken. Der Alfons hat Whiskey-Cola getrunken." Es waren bisher nur wenige Zeugen vor Gericht, die in dieser WM-Nacht völlig nüchtern unterwegs waren. "Alfons war ein gerngesehener Mensch, ein Juwel von Bad Reichenhall." Mit rund 30 Messerstichen wurde er noch in der gleichen Nacht ermordet.

Zwei frühere Schulfreundinnen von Sarah treten nun vor Gericht, 17 und 18 Jahre alt, die jüngere der beiden Soldatin bei der Marine in Wilhelmshaven: "Sie ist ein herzensguter Mensch und kontaktfreudig." Auch am 14. Juli sei sie, wie fast immer, gut gelaunt gewesen. Wie stehen die Dinge heute? "Sarah ist ängstlicher geworden", meint die Soldatin - noch immer als "lebensfroh" beschreibt sie die andere Zeugin.

Eine Zeugin aus Bad Reichenhall tritt vor den Richter. Am 14. Juli musste sie früh aufstehen, gegen 4.45 Uhr war sie unterwegs zum Bahnhof: "Dann kam mir ein junger Mann entgegen, er hat mich fast umgerannt." Ihre Koffer fielen um. "Geht's noch?!", sagte sie ihm. Zurück kam nur "ein ganz böser, starrer Blick." Im zick-zack habe er sich dann aus dem Staub gemacht: "Er war sehr außer Atem, hat immer zum Hubschrauber am Himmel hinaufgeblickt und hat dolle nach Alkohol gerochen." War es Christoph R., der sie fast umgerempelt hatte? Kurz bevor die Zeugin den Gerichtssaal wieder verlässt sagt sie noch: "Das war der junge Mann" und deutet auf die Anklagebank - an den Augen und den Lippen will sie ihn wieder erkannt haben.

Nun eine Zeugenaussage, die das Gericht eher vor ein Rätsel stellen dürfte: "In der Nacht nach dem WM-Finale hatte ich so ein Erlebnis. Um 3.45 Uhr bin ich wach geworden, hab' das Blaulicht draußen gesehen", so der Bad Reichenhaller. "Auf dem Dach unserer Gartenlaube hab' ich dann eine Person gesehen. Hab' hinuntergerufen: 'Wer ist da? Wer bist denn du?'" Die Antwort: "Ich komme aus Berchtesgaden und bin der Alexander. Denken Sie sich nichts, ich bin der Nachtwanderer und mache Abenteuerfilme." Dann sei die Person vom Dach gesprungen und weggerannt - "betrunken hat der auf mich nicht gewirkt." Die Beschreibung der Statur des Unbekannten und dessen Klamotten könnten aber durchaus auf Christoph R. passen. Beim Blick zum Angeklagten überlegt der Zeuge lange. Wie so oft versteckt Christoph R. seine Mundpartie hinter den Händen, das Kinn auf die Daumen aufgestützt. Es braucht mal wieder eine Aufforderung von Richter Klaus Weidmann, bis er sich ganz zeigt: "Ja, zu 60 Prozent könnte er's sein", so der Zeuge.

Nun warten vier weitere ehemalige Kameraden von Christoph R. vor dem Gerichtssaal um gehört zu werden.

VORBERICHT:

Es waren teils zähe Verhandlungen, die Richter Klaus Weidmann am Dienstag mit seinen Zeugen aus der Bundeswehr führen musste: Als es darum ging, was Christoph R. in einer Zigarettenpause von der Tatnacht erzählte, setzte bei so manchen die Erinnerung aus. Was wussten die Kameraden wirklich? Diese Frage wird das Gericht auch am Mittwoch beschäftigen. Vier weitere Uniformierte müssen am Traunsteiner Landgericht ihre Aussagen machen - "ohne etwas wegzulassen", wie der Richter im Laufe der Verhandlung am Dienstag immer strenger betonte. Trotzdem: Zwei Zeugen berichteten am gestrigen, vierten Verhandlungstag von "Geständnissen" des Angeklagten. Einer seiner Kameraden und ein eigentlich völlig unbeteiligter Passant in der Bad Reichenhaller Altstadt wurden Ohrenzeugen.

WM-Mord-Prozess - was bisher geschah:

- Prozesstag 1: Sachverständige berichtet über Familie und Lebenslauf von Christoph R.

- Prozesstag 2: Rechtsmediziner beschreibt grausige Details der Messerattacken

- Prozesstag 3: Opfer Sarah F. schildert den Angriff auf sie

- Prozesstag 4: Frühere Kameraden mit Gedächtnislücken

Geladen ist neben den weiteren Soldaten heute ein medizinischer Gutachter und ein Reichenhaller, über dessen Grundstück der Angeklagte in der Tatnacht geschlichen sein soll. "Ich bin der Nachtwanderer" soll er zu dem Anwohner gesagt haben - wohl der Rollenname von Christoph R. im PC-Spiel "Skyrim". Ob der Mandant von Verteidiger Harald Baumgärtl am Mittwoch wieder in Fußfessel und fixierten Handschellen vor das Traunsteiner Landgericht gefahren wird? Wohl eine Vorsichtsmaßnahme wegen der Kickboxer-Vergangenheit von Christoph R. Viele rätseln weiterhin, inwieweit den gelassen wirkenden Angeklagten das Geschehen vor Gericht überhaupt berührt - doch sein Verteidiger versicherte im Gespräch: "Er verfolgt das durchaus genau, was im Fernsehen und in der Presse darüber berichtet wird." Ab 9 Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt.

+++ Wir berichten wie immer aktuell von den Ereignissen im Gerichtssaal +++

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