Mühldorf marschiert in zwei Richtungen
Corona-Proteste: Bündnis „Mühldorf denkt klar“ sagt „Spaziergängern“ den Kampf an
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Knapp 100 Meter lagen zwischen Spaziergängern und den „Klardenkern“ der Demo. Zu Auseinandersetzungen kam es nicht. Das Konzept der räumlichen Trennung beider Menschenansammlungen ist aufgegangen.
Mühldorf – Knapp 100 Personen waren am Montag zur Demo des Aktionsbündnisses „Mühldorf denkt klar!“ gekommen. Sie wollten ein Gegengewicht zu den Spaziergängern bilden, die sich seit Wochen montags treffen und still gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren.
Mit teils provokanten Worten drückten Redner von SPD, Grüne und Linke ihren Unmut gegenüber den Spaziergängen aus, warnten davor, sich von rechten Agitatoren instrumentalisieren zu lassen. Claus Debnar erklärte, er sei „angepisst“ von der Pandemie, vom „Rumgewurschtel der Regierung“ und auch vom Gebaren der Menschen, die Freiheit mit Verantwortungslosigkeit verwechseln, sich ohne Abstand und Maske zu den Spaziergängen träfen. Eine Minderheit, die sich für das Volk halte. „Ich bin angepisst von Leuten, deren Widerstand nichts weiter als Widerstand gegen Verstand und Anstand ist und maßgeblich mitverantwortlich dafür sind, dass wir diese Pandemie einfach nicht in den Griff bekommen.“
„Man marschiert nicht mit rechts“, schimpfte Kristin Martl-Hassan von den Grünen, sie sprach von einem „Pack“, das besonders in digitalen Chatgruppen den Holocaust verharmlose und sich mit Opfern des Dritten Reiches vergleiche.
„Man marschiert nicht mit rechts“
Martl-Hassan sagte, dass seit Wochen Querdenker an der Seite von Nazis durch deutsche Städten marschierten „und inzwischen auch durch Mühldorf“. Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit hätten sich die Spaziergänger auf die Fahnen geschrieben: „Doch sobald man sich auf die Telegram-Seiten dieser Friedensbefürworter begibt, vergeht einem das Lachen.“ Wut, Hass, Umsturz, Verschwörungs- und Gewaltfantasien würden geteilt. „Mit einem Vokabular, das man sonst nur von AfD, NPD, Dritter Weg oder Reichsbürgern kennt.“ Das rechte Spektrum habe auch in Mühldorf offen zum Spaziergang aufgerufen. „Man marschiert nicht mit rechts“, schimpfte Martl-Hassan. Mit Blickauf die sozialen Medien bezeichnete sie die Personen „Pack“, die in digitalen Chatgruppen den Holocaust verharmlosen und sich mit Opfern des Dritten Reiches vergleichen würden.
Das Podium nutzten mit Sea Altmann und Max Wiltschka auch Sprecher von SPD und Jusos. Sie alle warfen den Spaziergängern Infodefizit und Faktenresistenz vor.
Sie sprächen über Spaltung und würden sich doch nur selbst abspalten mit all ihrem Hass, so Altmann. Die Redner, erklärten sich solidarisch mit all jenen, etwa Pflegepersonal in Krankenhäusern, die aufopferungsvoll gegen die Pandemie kämpfen würden. Initiator Alex Erfurt betonte, dass man die Spaziergänger nicht pauschal in die rechte Ecke stellen dürfe. Es handle sich um „Menschen, die nicht wissen, an wen sie sich wenden können“. Doch man müsse sich im Klaren darüber sein, „mit wem man auf die Straße gehe.“
Hartmuth Lang vom Netzwerk „Mühldorf ist bunt“ sagte zur Diskussion um Impfpflicht und nötige Einschränkungen durch die Corona-Pandemie: „Die Grundregel der Demokratie bedeutet, dass man sich dem Mehrheitswillen beugt, auch wenn ich anderer Meinung bin.“ Die Spaziergänge seien „purer Egoismus“.
Keine Konflikte bei den Protesten
Auf der anderen, stillen Seite, hatten sich nach Angaben von Polizei-Einsatzleiter Josef Bernhard rund 130 Spaziergänger versammelt. Friedlich marschierten sie eine Stunde lang im Kreis. Vereinzelt drückten sie ihren Protest auf umgehängten Schildern aus. „Impfzwang – niemals!“ ist zu lesen. Konflikte? Fehlanzeige. Provokante Äußerungen hatte es allenfalls im Vorfeld gegeben. Auf Facebook warf die AfD den drei „sozialistischen Parteien“ Linke, Grüne und SPD vor, dass sie die Geschäfte am Stadtplatz um ihr Nachmittagsgeschäft bringen würden. Für die vom Landratsamt verhängten Auflagen hatte Oliver Multusch (AfD) kein Verständnis: „Es gibt keine Maskenpflicht für Spaziergänger, das zu verlangen ist nur Schikane.“ Er betonte vor dem Spaziergang, dass er oder die AfD nicht Veranstalter seien, doch werde er dabei sein und auch eine Maske dabei haben. Aber: „Kreativ, wie ich bin, werde ich die Maskenpflicht umgehen und mir eine Zigarre schmecken lassen.“ Am Ende trug aber auch er Maske, denn die Polizei forderte rigoros die Maskenpflicht ein.
Insgesamt blieb es friedlich. Diskussionen mit Maskenverweigerern und die Überprüfung von Maskenbefreiungen hielten sich in Grenzen. Einmal wurde es hektisch, als ein Polizistentrupp zum Dönerhaus eilte und sich ein kurzes Wortgefecht mit einem Spaziergänger vom rechten Rand lieferte. Ansonsten keine Hinweise auf Nazis oder rechtsextremes Gedankengut. Das bestätigten auch zwei 21-jährige Mühldorferinnen, die sich dem Spaziergang angeschlossen hatten. Caro und Jasmin – ihren Nachnamen wollen sie nicht in der Zeitung lesen – eine Büroangestellte und eine Auszubildende in der Physiotherapie waren nicht zum ersten Mal dabei. „Wir hatten gute und offene Gespräche.“
„Bin jung, habe keine Angst vor dem Virus“
Jasmin will mit ihrer Anwesenheit ihren Protest gegenüber der Impfpflicht ausdrücken. Die angehende Physiotherapeutin findet, dass es in der Eigenverantwortung jedes einzelnen liegen sollte, sich impfen zu lassen. „Ich bin jung, führe ein gesundes Leben. Ich habe keine Angst vor dem Virus und einer Erkrankung“, Sie sorge sich eher darum, was der Impfstoff mit ihrem Körper mache.
Ob er nicht doch Auswirkungen auf die Gebärfähigkeit habe. Beide haben sich auch die Demo angesehen, fanden sie im Vergleich zu den Spaziergängen propagandistisch.
Knapp 100 Meter lagen zwischen Spaziergängern und den „Klardenkern“ der Demo. Zu Auseinandersetzungen kam es nicht, auch weil die Polizei gut aufgestellt war. Einsatzleiter Bernhard zog zufrieden Bilanz. Das Konzept der räumlichen Trennung beider Menschenansammlungen sei aufgegangen.