Künstliche Landzunge geplant
Mündungsdelta am Chiemsee: Die Tiroler Achen soll wieder ein Wildfluss werden
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Das Mündungsdelta am Chiemsee ist in Mitteleuropa einzigartig. Weil der Oberlauf der Tiroler Achen in Deiche und harten Uferverbau gezwängt ist, fehlen in den Auwäldern Übschwemmungen, dafür staut sich das Wasser bei Starkregen in den Entwässerungsgräben. Jetzt soll das Delta ökologisch aufgewertet werden.
Übersee – Wird die Tiroler Achen im Mündungsbereich bald zu einem Wildfluss, der aus seinem Korsett befreit wird und die angrenzenden Auenwälder regelmäßig überschwemmt? Mit verschiedenen Maßnahmen soll die Ökologie des in Mitteleuropa einzigartigen Mündungsdeltas am Chiemsee auf einer Fläche von 140 Hektar „erheblich aufgewertet“ und zukunftssicher gemacht werden. Ergebnisse einer aktuellen Machbarkeitsstudie dazu präsentierte das Wasserwirtschaftsamt Traunstein am Donnerstag (20. Januar 2022) im Rahmen einer Videokonferenz.
Der Fluss ist in ein Korsett gepresst
Details schilderte Dr. Florian Pfleger vom Büro Aquasoli. Aktuell sei der Oberlauf der Tiroler Achen in ein Korsett aus Deichen und hartem Uferverbau gepresst. Die ökologisch wertvollen angrenzenden Auwälder seien dadurch „von regelmäßiger Überschwemmungsthematik abgetrennt“ und könnten sich längerfristig zu Landwäldern entwickeln. Wie sich durch ein Aufbrechen oder ein generelles Verlagern der östlichen Deichlinie die Verlandungssituation im östlichen Mündungsbereich des Deltas mit der angrenzenden Hirschauer Bucht verändern lässt, zeigte Pfleger anhand verschiedener Varianten und Simulationen.
Als nachhaltigste Planung erscheint demnach die Abtragung des alten Deichbauwerks und der Bau eines neuen, 2,5 Kilometer langen Deichs aus dem Material. Er soll östlich in Richtung Rothgraben verlängert werden und dann am Westufer des Gewässers parallel bis zur Mündung in den Chiemsee verlaufen.
Ergänzend soll im Anschluss ein neues, rund 600 Meter in den See ragendes Leitbauwerk gebaut werden. Es soll stärkere Sedimentablagerungen in östlicher Richtung – also auch in der Hirschauer Bucht – kompensieren und verlangsamen. Konkret soll das Bauwerk aus mit Kies verfüllten Spundwänden und Oberflächenbepflanzung als künstliche Landzunge in den See ragen.
Diese soll auch die Entwässerung des Grabenstätter Mooses langfristig sichern. Ergänzende Sicherungs- und Ertüchtigungsmaßnahmen sind auch für den Rothgraben vorgesehen.
„Wir weiten den Flusslauf auf und vergrößern so den Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten“, erläuterte Ralf Schindlmayr vom Büro Aquasoli aus naturschutzfachlicher Sicht. Detailuntersuchungen hätten eine „Vielzahl von wertvollen Einzelarten“ gezeigt.
Bauwerk soll vor Verlandung schützen
In der Diskussion erkundigte sich die Grünen-Landtagsabgeordnete Gisela Sengl nach der Notwendigkeit für das massive Leitbauwerk und den Kosten. Pfleger verwies auf die Schutzwirkung des Baus gegen eine stärkere Verlandung östlich des Deltas.
Natürlich gebe es auch aufgrund der vielfachen Schutzwürdigkeit des Gebiets hohe Hürden für die Realisierung. Der aktuelle Stand der Studie diene der „rechtzeitigen Einbindung aller Beteiligten in die Diskussion“, sagte Walter Raith, Leiter des Wasserwirtschaftsamtes Traunstein. Die Kostenschätzung sei einer der nächsten Schritte.
Wir begrüßen die Deichrückverlegung“, sagte Beate Rutkowski, Kreisvorsitzende des Bund Naturschutz. Behutsame Prüfungen seien aber für das Leitbauwerk und die Maßnahmen am Rothgraben notwendig. Nach den generellen Auswirkungen auf den Fischbestand und die Durchlässigkeit für größere Fischarten erkundigte sich Dr. Bernhard Gum, Fischereifachberater der Regierung von Oberbayern.
Vogelschützer sehen Auswirkungen positiv
Die Wahrscheinlichkeit eines Rückstaus im Rothgraben bei Hochwasser auch nach dem Umbau sprach der Stimmkreisabgeordnete Klaus Steiner an. „Wir sehen viele positive Auswirkungen auf die Natur im Deltabereich“ kommentierte Sabine Pröls aus Sicht des Landesbunds für Vogelschutz. Willi Siglreitmeier erkundigte sich als Vorstand der Weideberechtigten, ob es durch den Umbau seltener zu Überschwemmungen der Weideflächen käme.
Verlandung und Überschwemmungen
Knapp 40 Politiker und Experten aus Umwelt- und Naturschutzverbänden, Landwirtschaft, Fischerei, Behörden sowie vom Abwasserzweckverband Chiemsee und den Vorständen der örtlichen Genossenschaften für Bodenbewirtschaftung und Entwässerung folgten den Ausführungen der Referenten des Ingenieurbüros Aquasoli aus Siegsdorf. Dieses war vom Wasserwirtschaftsamt mit der Erstellung für die Machbarkeitsstudie beauftragt worden. Die Verlandung des Chiemsee insbesondere der Hirschauer Bucht, Probleme mit den Entwässerungsgräben in Grabenstätt und Übersee sowie die Über-schwemmungsthematik entlang der Tiroler Achen beschäftigen Anlieger, Politik und Behörden seit vielen Jahren. Eine mögliche Lösung könnte in der Rückverlegung des östlichen Achen-Deiches nördlich der Autobahn A8 liegen. „Ein wesentliches Ziel ist die Verbesserung der Situation“, sagte Walter Raith, Leiter des Wasserwirtschaftsamtes Traunstein. „Wir wollen rechtzeitig mit allen Beteiligten in die Diskussion eintreten.“