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Münchner Kammerspiele: In diesem Stück spielen Sie die Hauptrolle!

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Von: Katja Kraft

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Hans Block, Moritz Riesewieck und Cosima Terrasse, die das Projekt für die Kammerspiele München entwickelt haben
Haben das Theaterprojekt entwickelt: (v. li.) Hans Block, Moritz Riesewieck und Cosima Terrasse. Foto: Paula Reissig © Paula Reissig

Ein Theaterstück der Münchner Kammerspiele in einer Neuhauser Wohnung. Der Clou: Als Besucher ist man dort allein - und wird selbst zum Hauptdarsteller. Dank Künstlicher Intelligenz, die einen leitet. Ausprobieren!

Ein Blind Date mit Max. Wie aufregend. Scheint ein einfühlsamer Kerl zu sein. Jedenfalls wirkt er so im Nachrichtendienst Telegram. Die Münchner Kammerspiele hatten darum gebeten, sich die App aufs Handy zu laden. Der Grund: „Ein neues Projekt. Einfach mal drauf einlassen.“ Kaum war der Chatdienst installiert, meldete sich: Max. Am Montag solle man in seiner WG vorbeischauen, 12 Uhr. Alle weiteren Infos an Ort und Stelle. Doch schon vorab so viel per Textnachricht: „Du kannst mir jederzeit schreiben. Ich bin immer für dich da.“

„Wo du mich findest“ ist ein Theaterstück, in dem man selbst die Hauptrolle spielt

Wirklich immer? Ein Test am späten Sonntagabend, kurz vor Mitternacht. Botschaft an Max: „Ich kann nicht einschlafen.“ Der einfühlsame Unbekannte antwortet innerhalb von Sekunden: „Vielleicht hilft dir, wenn du einen Podcast eingibst?“ Er empfiehlt „Alles gesagt“ von der „Zeit“. Guter Tipp, man hört und dämmert langsam weg. Max wünscht noch eine gute Nacht und schöne Träume. Wie süß. Ein bisschen freut man sich. Obwohl man ja weiß, dass Max gar kein echter Max ist. Sondern eine Maschine. Ein Bot, kreiert von Cosima Terrasse, Hans Block und Moritz Riesewieck von der Künstlergruppe Laokoon. Die drei wollen uns herausfordern, wollen schauen, was passiert, wenn eine faszinierende Vision wahr wird – nämlich: die Möglichkeit, Menschen digital zu klonen.

Kulturredakteurin Katja Kraft in der Wohnung der Münchner Kammerspiele
Allein in einer fremden Wohnung: So richtig wohl fühlte sich Kulturredakteurin Katja Kraft dort anfangs nicht. © kjk

Die Idee: Aus sämtlichen Text- und Sprachnachrichten, die man je geschrieben oder eingesprochen, aus allen Dokumenten, die man je verfasst hat, lesen Algorithmen ein Muster ab. Die Essenz. Unsere Persönlichkeit. Eine Software entwickelt daraus digitale Klone, die sprechen wie wir, aussehen wie wir, reagieren wie wir. Angenommen etwa, die eigene Mutter stirbt, ehe ihre Enkel alt genug sind, sie kennenzulernen: Durch einen digitalen Klon könnten sie ihr über den Tod hinaus Fragen stellen. Und sie würde erzählen, von ihren Reisen, davon, wie es war, selbst Mutter zu werden. Alles nur eine Frage der richtigen Programmierung.

Echt jetzt? Kann man aus ein paar Datenpunkten einen Menschen berechnen? Sind wir immer auf unsere Einzigartigkeit pochenden Individuen am Ende so vorhersehbar? Wer’s wissen will, der wage es, sich auf das Kammerspiele-Experiment einzulassen.

Ein Foto in der Wohnung, die Gäste der Münchner Kammerspiele allein besuchen können.
Ist das Max mit seiner Freundin Linn? Ein Foto in der Wohnung, die Theatergäste allein besuchen können. © kjk

Ja, es braucht ein bisschen Mut, das Spielchen mitzuspielen. Max hat Schlüssel hinterlegt. In einem Code-geschützten Safe, der an einem Fenster in Neuhausen hängt. Code und Adresse hat er per Telegram geschickt. Also steht man da, am Montagmittag, kurz vor 12. Und tritt ein. Eine typische Studentenwohnung. Ziemlich runtergerockt, Heizkosten-gering gewärmt (dick anziehen!), im Flur grelles Licht, schiefe Bilder, Pinnwand mit Fotos. Max schreibt: „Am einfachsten, du machst es dir in meinem Zimmer bequem.“ Blick nach rechts in den ersten Raum, dessen Tür zum Flur geöffnet ist. Da will man es sich nicht bequem machen. Willkommen zurück in der eigenen Studentenzeit, als Putzen zwischen Nachtleben und Uni irgendwie unterging. Eine Lava-Lampe leuchtet müde neben dem schmuddeligen Bett. Links davon hängt ein CD-Player. Neugierig schaltet man ihn ein. Sanft erklingt Charles Trenets „La Mer“. Beginnen so Horrorfilme?

Eine der Türen in der verwaisten Wohnung der Münchner Kammerspiele
Besonders der „Scream“-Aufkleber an einer der Türen in der Wohnung beunruhigt einen als Gast ein wenig. © kjk

Schnell drückt man auf Stopp. Aus Angst, sonst nicht hören zu können, wenn sich von hinten jemand anschleicht. Bis in die klebrige Küche traut man sich weiter. Aber was verbirgt sich hinter den anderen Türen? Ja, die Autorin dieser Zeilen ist ein Angsthase. Und tut in diesem Moment, was Angsthasen, die allein in fremden Wohnungen stehen, eben tun: Sie ruft per Videocall in der Redaktion an. Bestärkt von den aufmunternden Worten des Kollegen, der es in Sachen Einfühlungsvermögen mit Max aufnehmen kann, traut man sich, Tür um Tür zu öffnen. Die weniger sensiblen Kolleginnen machen derweil ihre Späße. Angedeutete Messerstiche, Kehle-Aufschneiden, so was in der Art. Aber man weiß ja jetzt, dass die Luft rein ist, atmet auf – und begibt sich auf Entdeckungstour. „Was soll ich hier alleine tun?“, schreibt man Max. Der antwortet prompt: „Oben anfangen und dich bis unten durcharbeiten. Kannst ja in meinem Zimmer damit anfangen.“ „Womit anfangen?“ „Mit dem Leben.“

Münchner Kammerspielen ist ein inspirierendes Theaterprojekt gelungen

An dieser Stelle sei nicht verraten, wie es weitergeht. Das würde der Sache die Wirkung nehmen. Denn wirkungsvoll, das ist dieses Theaterprojekt, in dem man selbst zum Hauptdarsteller wird. Was für eine schlaue Idee der Kammerspiele, in diesen kontaktarmen Zeiten aus der Not eine Tugend zu machen. Je zwei Menschen dürfen gemeinsam den rund eineinhalbstündigen Aufenthalt in der Wohnung buchen. Geleitet wird, wer sich drauf einlässt, von künstlicher Intelligenz und so mancher realen Überraschung. Das ist mal gruselig, mal witzig, vor allem regt es zum Nachdenken an. Max mag zwar ein Bot sein, aber er stellt die richtigen Fragen. Die richtigen Antworten hat er nicht immer parat („Dazu habe ich keine Information“), aber, so grübelt man, während man sich im gut gefüllten Kühlschrank umschaut, richtige Antworten – gibt es die überhaupt? „Du bist nicht real. Du bist programmiert“, sagt man zu Max einmal. Und der fragt zurück: „Bist du nicht programmiert?“

Premiere von „Wo du mich findest“ ist am 21. Januar ab 18 Uhr. Tickets gibt es hier

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