Diskriminierung und Gewalt: Chinas Frauen sind voller Hoffnung – vermutlich umsonst
Seit Jahren kämpfen Frauen in China um ihre Rechte – im Job, im Alltag und im Fall von sexueller Belästigung. Das Thema ist unterrepräsentiert, auch weil in der KP praktisch alle Spitzenkräfte Männer sind.
Peking/München – Unter den 376 Mitgliedern des Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) befinden sich gerade einmal 30 Frauen. Nur eine einzige Frau ist Mitglied des 25-köpfigen Politbüros – im obersten Entscheidungsgremium der Partei, dem Ständigen Ausschuss des Politbüros, war noch nie eine Frau vertreten.
In China ist die gläserne Decke deutlich spürbar. Etwa 45 Prozent der chinesischen Arbeitnehmerschaft sind Frauen. Doch die meisten Führungskräfte in China sind männlich. In der jährlichen Rangliste des Weltwirtschaftsforums zur weltweiten „Gender-Gap“ belegte China 2020 Platz 106 unter 153 Ländern.
Dass Frauen in China sich übergangen fühlen, zeigen oft ganz banale Alltagsbeispiele, die in Sozialen Medien die Runde machen. Kürzlich sorgte das Video einer Frau für Debatten, die im Zug plötzlich ihre Periode bekam, dort aber keine Damenbinde kaufen konnte. Zwar wurden Snacks, Getränke und Souvenirs angeboten, doch Tampons oder Damenbinden gehörten nicht zum Angebot. China Railway sah sich gar gezwungen zu antworten – und begründete den Vorfall damit, dass diese Hygieneprodukte „private Artikel“ seien und nicht verkauft werden. Der Fall wurde zum Symbol für die generelle Vernachlässigung von Frauenthemen und -rechten in China.
China: Frauenthemen in der Politik kein Schwerpunkt
Die obersten Führungsgremien in Peking befassen sich nur selten mit Frauenthemen. Dafür zuständig soll die Staatsnahe All-Chinesische Frauenvereinigung (ACWF) sein. „Frauenverbände beteiligen sich erfolgreich an der Formulierung relevanter Gesetze, Vorschriften und Richtlinien“, betont das Informationsbüro des Staatsrates der Volksrepublik China.
Zwar haben Frauen im sozialistischen China formal mehr Rechte als in manchen, traditioneller geprägten Nachbarländern. „Die Frauen bilden die Hälfte des Himmels“, sagte Mao Zedong Anfang der 1950-er und forderte Frauen auf, in die Arbeitswelt einzusteigen. Im Vergleich zu anderen Staaten Asiens haben sie in China eine durchaus starke Teilhabe; viele Mütter arbeiten. Doch um ihre tatsächliche Gleichstellung kämpfen chinesische Frauen bis heute. Denn auch im 21. Jahrhundert bleibt die Volksrepublik gesellschaftlich recht konservativ. Ein großes Problem ist das vor allem auf dem Land noch sehr traditionelle Rollenverständnis.

Chinas Ein-Kind-Politik sorgte für unausgewogenes Geschlechterverhältnis
Das zeigte sich vor allem an der erst kürzlich abgeschafften Ein-Kind Politik. Männer waren in der chinesischen Tradition dazu verpflichtet, sich um ihre Eltern zu sorgen. Insbesondere auf dem Land wird bis heute nach diesem Grundsatz gelebt. Deshalb bevorzugen viele werdende Eltern einen Jungen – für die eigene Absicherung im Alter. Eltern trieben wegen der Ein-Kind-Politik daher weibliche Föten ab, um doch noch die Chance auf einen Jungen zu bekommen. Später durften viele Familien in den Dörfern deswegen zwei Kinder haben. Aber dann wurde oftmals abgetrieben, wenn nach einem geborenen Mädchen das zweite Kind erneut ein weiblicher Fötus war.
Diese grausame Praxis hat dazu geführt, dass es heute in vielen Regionen Chinas viel mehr Männer gibt als Frauen, und viele Männer – vor allem solche mit geringer Ausbildung – keine Ehefrau finden. Das Geschlechterverhältnis der Gesamtbevölkerung in China beträgt etwa 106 Männer auf 100 Frauen. In vielen ländlichen Gebieten aber ist die Diskrepanz deutlich größer.
Seit ein paar Jahren gibt es keine Geburtsbeschränkungen mehr. Vielmehr rät die Regierung heute Frauen von Abtreibungen ab, um die inzwischen sehr niedrige Geburtsrate zu erhöhen. Frauen haben seither mit einem gesellschaftlichen Stigma zu kämpfen: So seien unverheiratete Frauen über 30 Jahre „über dem Verfallsdatum“. Sollten sie darüber hinaus keine Kinder bekommen, werden sie schnell als egoistisch abgestempelt.
Chinesische Frauen werden durch #MeToo-Bewegung ermutigt, ihre Stimme zu heben
Doch im Kampf um Frauenrechte in China geht es nicht nur um Gleichstellung. Sondern auch darum, endlich sexuelle Belästigung und Missbrauch zu thematisieren. Der wohl prominenteste Fall sind die „Feminist Five“: Eine Gruppe chinesischer Feministinnen, die 2015 in Peking verhaftet wurde, weil sie gegen sexuelle Belästigung in vollen öffentlichen Verkehrsmitteln protestierten. Der Vorfall sorgte für Aufruhr unter Feministinnen – aber ermutigte Frauen, ihre Stimme zu erheben und sich an feministischem Aktivismus zu beteiligen. Er gilt vielen daher als Meilenstein.
Ein weiterer bekannter Fall: Zhou Xiaoxuan soll 2014 von dem bekannten Moderator Zhu Jun des Staatssenders CCTV gewaltsam begrabscht und geküsst worden sein. Damals war sie Praktikantin. Vier Jahre nach dem Vorfall teilte sie ihre Geschichte in Sozialen Medien und reichte eine Klage gegen ihn ein. Der CCTV-Moderator bestritt jegliche Vorwürfe gegen ihn – und ihre Klage auf Schadensersatz wurde im August abgewiesen. Ihre Beweise waren laut dem Gericht in Peking unzureichend. Unter Frauenrechtlerinnen sorgte das Urteil für Empörung.
Die #MeToo-Bewegung Amerikas erreichte auch China; auch dort wehrten sich Frauen gegen Angreifer, vielfach in sozialen Medien. Nachdem die Zensur durchgriff und viele #MeToo-Beiträge löschte, fanden die Frauen einen Kniff, der nur in der chinesischen Sprache möglich ist: So war fortan in den Posts von einem „Reis-Hasen“ die Rede, was auf Chinesisch „mi tu“ ausgesprochen wird. Doch immer wieder löschen Social-Media-Plattformen die Accounts bekannter Feministinnen. Viele chinesische Frauenrechtlerinnen müssen im Netz zudem mit Hasskommentaren leben.
China: Gewalt gegen Frauen wird relativiert
Ein Vorfall von Anfang Juni verdeutlicht zudem, wie der Staat das Problem von spezifisch frauenfeindlicher Gewalt unter den Tisch zu kehren versucht. Damals löste ein viral gegangenes Überwachungsvideo einer Schlägerei zwischen einer Männergruppe und vier Frauen in einem Restaurant eine große Diskussion aus, etwa auf der populären Mikroblogging-Plattform Weibo. Ein Mann streichelte einer Frau ohne Einwilligung über die Schulter. Die Frau wehrte sich, es kam zum Streit und schließlich zu der Schlägerei, bei der die Männer zwei Frauen schwer verletzten.
Doch der Staat schaffte es, daraus ein Thema genereller Gewalt in der Gesellschaft zu machen. Wohl unter dem Druck der Behörden kündigte Weibo zwei Tage nach dem Vorfall eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Nutzern an, die „schädliche Äußerungen“ verbreiten und „die staatliche Politik und das politische System angreifen“. Innerhalb von 48 Stunden entfernte Weibo mehr als 14.000 Beiträge, suspendierte 8.000 Nutzer und sperrte weitere tausend dauerhaft. Mittlerweile wurde der Haupttäter zu 24 Jahren Haft verurteilt, doch eben allgemein wegen Körperverletzung – nicht wegen eines frauenfeindlichen Übergriffs.
Chinesische Frauen hoffen beim 20. Parteitag auf Veränderungen
„Seit der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 hat die KPCh stets erklärt, dass die ‚Gleichheit von Männern und Frauen‘ ein Hauptmerkmal sein sollte, das den neuen kommunistischen Staat vom ‚alten China‘ unterscheidet“, so Cheng Li, Experte für die Führungszirkel KP und Direktor des John L. Thornton China Centers in Washingtojn. So erklärte zum Beispiel das Informationsbüro des Staatsrats 2019: „Die Rolle der Frau in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung wird immer wichtiger. Sowohl die politische Stellung als auch das Bildungsniveau der Frau hat sich in China über Jahre deutlich verbessert.“ Ein Schritt in die richtige Richtung – doch nicht genug, um die frauenfeindliche Gewalt einzudämmen.
Das dürfte sich nur ändern, wenn Frauen auch in der großen Politik mehr Mitsprache bekommen. „Der bevorstehende Parteitag wird höchstwahrscheinlich einen großen Führungswechsel erleben“, vermutet Cheng Li. Große Teile des Zentralkomitees (ZK) und Politbüros werden ausgetauscht. Doch der Frauenanteil stagniert. Nach dem 17. Parteitag wurde der bisherige Spitzenwert erreicht: 37 Frauen im mehr als 300 Mitglieder umfassenden ZK. Derzeit sind es 30, von denen einige gehen, und einige bleiben. Für den 20. Parteitag gibt es 20 neue Kandidatinnen: „Diese weiblichen Führungskräfte werden höchstwahrscheinlich eine kleine, aber gut vernetzte und zunehmend sichtbare Gruppe in Chinas Machtzirkel bilden“, glaubt Cheng Li. Da die Auswahl an weiblichen Führungskräften so begrenzt ist, sei es unwahrscheinlich, dass sich die Anzahl der Frauen im ZK stark erhöht.
Und es wäre ein Wunder, sollte es sich zum 20. Parteitag erstmals eine Frau im Ständigen Ausschuss Platz nehmen. Es ist wahrscheinlicher, dass ein neues weibliches Mitglied die bisher einzige Frau im Politbüro ersetzen wird. (sr)