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Impfpflicht: Scholz hat das Momentum verloren

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Von: Georg Anastasiadis

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Wer bei ihm Führung bestellt, der bekommt sie, hat Olaf Scholz im Wahlkampf wissen lassen. Gelegenheiten, sein vollmundiges Versprechen einzulösen, hat es gegeben. Doch warten die Bundesbürger nach sieben Wochen Ampelregierung noch immer auf klare Ansagen des neuen Kanzlers.

Es droht Krieg in Europa, doch Deutschland stolpert, der Regierungschef voran, hilf- und orientierungslos durch die Ukrainekrise. Die Energiepreise explodieren, doch tut die Regierung so, als ginge sie das nichts an. Und jetzt ist dem Kanzler auch noch bei der zu lange verschleppten Impfpflicht das Momentum völlig abhandengekommen.

Heute diskutiert der Bundestag erstmals über die konkurrierenden Impfpflicht-Modelle. Schon der Umstand, dass die Ampelregierung sich keinen eigenen Vorschlag zutraut, sondern abwartet, welche Mehrheit sich im Bundestag zusammenwürfelt, offenbart ihre Verlegenheit. Weder hat sie – wegen der kritischen Position von großen Teilen der FDP zur Impfpflicht – eine eigene Gestaltungsmehrheit, noch verfügt sie über die Gewissheit, dass das Verfassungsgericht ihr Gesetz nicht einkassiert. Die auf dem Höhepunkt der Delta-Welle noch überwältigende Zustimmung der Bevölkerung zur Impfpflicht schrumpft mit jedem Tag, an dem dank Omikron das Ende der Pandemie näher rückt. Klar hilft die Impfpflicht bei deren Eindämmung, sie schützt zumindest vor schweren Krankheitsverläufen und entlastet so die Kliniken – aber erfüllt sie auch den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit, gerade vor dem Hintergrund nur mäßig wirksamer Vakzine und immer heftigerer gesellschaftlicher Konflikte? Praktiker mahnen zudem, dass allenfalls fünf Prozent der Bevölkerung über den Umweg einer Pflicht zusätzlich für eine Impfung zu gewinnen wären. Ist das den Aufwand wert?

Die Regierung hat das Thema zu lange treiben lassen und muss sich jetzt von Verfassungsjuristen belehren lassen, dass sich vor der Impfpflicht, je nach Ausgestaltung, turmhoch die Einwände türmen. Der verfahrenen Lage angemessen erscheinen ohnehin nur noch abgestufte und zeitlich strikt befristete Modelle, etwa eine Impfpflicht nur für die von Corona besonders oft schwer betroffenen über 50-Jährigen. Ein möglicher Ausweg für die Ampelkoalition wäre es, die Impfpflicht vom Bundestag grundsätzlich beschließen zu lassen, sie aber nur im „Fall der Fälle“ zu aktivieren, etwa wenn eine aggressive Mutation sich verbreitet, vor der Gesundheitsminister Lauterbach schon jetzt warnt. Doch dürfte schon das gewählte Verfahren, den Bundestag in einem dynamischen Gruppenverfahren entscheiden zu lassen, solchen Kompromissen im Wege stehen. Mal ganz abgesehen davon, dass es ein politisch heikles Manöver wäre, wenn der Bundestag der Regierung per Vorratsbeschluss die Prokura einräumte, über einen so zentralen Grundrechtseingriff wie die Inkraftsetzung der Impfpflicht nach eigenem Gusto zu entscheiden. Jedenfalls die Unionsfraktion wird sich darauf nicht einlassen. Warum sollte sie auch für eine Ampelkoalition ohne Mehrheit die Kartoffeln aus dem Feuer holen? Damit hängt die Impfpflicht insgesamt am seidenen Faden. Selbst wenn sie am Ende kommt, wird sie ihre Ziele, die Beendigung der Pandemie und die Befriedung des Landes, wohl nicht erreichen.

Georg.Anastasiadis@ovb.net

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