Rosenheim – „Der Güterverkehr sucht sich den wirtschaftlich günstigsten Weg.“ Sagt Georg Dettendorfer, Chef eines großen Logistikunternehmens und Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Und Nußdorfer. Er weiß, wie es Lkw-Fahrern geht, die endlos im Stau stehen. Und er weiß, was in den Gemeinden im Inntal los ist, wenn Tirol mal wieder Blockabfertigung in Kufstein ansetzt.
Dass die Landtags-CSU bei einer Klausurtagung einstimmig die Resolution des hiesigen Abgeordneten Klaus Stöttner befürwortete, dass die EU Klage einreichen soll, falls sich Tirol weiter einer konstruktiven Lösung verweigern soll, sei ja gut. Aber allein nicht genug. „Wir müssen kurzfristig schauen, wie wir den bestehenden Verkehr möglichst schonend abwickeln“. Da müsse Tirol mitmachen.
Genau daran zweifelt Stöttner derzeit: „Landeshauptmann Günther Platter ist nicht gesprächsbereit“, so der Abgeordnete im Gespräch mit der OVB-Redaktion. Das zeige sich auch bei seiner Reaktion auf die CSU-Resolution – für Stöttner „ein wichtiges politischen Zeichen“ – in den sozialen Netzwerken. „Mit mir wird es keine Pseudolösung in der Transitfrage auf dem Rücken der Tiroler Bevölkerung geben“, heißt es da.
Karl Fischer vom Logistik-Kompetenzzentrum in Prien sagt dazu: „Wir müssen ganz schnell dazu kommen, dass Differenzen unter Nachbarn nicht auf der Straße ausgetragen werden.“
Platter führt ein Drittel der jährlich rund 2,5 Millionen Lkw auf dem Brenner – durch die gesamte Schweiz ist es keine Million – auf zu niedrige Maut in Deutschland und Italien zurück. Allerdings ist die Lkw-Maut auch in Österreich niedriger, als in der Schweiz.
Die günstigen Dieselpreise in Österreich – laut ADAC 25 Cent pro Liter weniger, als in der Schweiz – machen die österreichischen Alpenübergänge noch interessanter. „An den vielen auf der Durchfahrt tankenden Lkw verdient Tirol ja auch“, merkt Fischer dazu an. Ginge Österreich an die Dieselpreise, falle dies weg. „Über die Abschaffung des Dieselprivilegs ist 2021 in Österreich viel diskutiert worden. Aber dann hat man sich politisch nicht herangetraut“, so Dettendorfer.
Erschwerend hinzu kommt noch, dass für die Schweiz als Nicht-EU-Land deutlich mehr Formalitäten inklusive Zoll anfallen. Dass aus diesen kombinierten Gründen viele Lkws über den Brenner rollen, zeigt eine Analyse von Verkehrsdaten des Büros Planoptimo im Auftrag der Tiroler Landesregierung. Nach dieser Studie gebe es für ein Drittel der Brennerfahrten eine um mindestens 60 Kilometer kürzere Alternative über den Gotthard.
Freie Fahrt nach Italien wäre Dettendorfer natürlich lieber, als durch Ausweichverkehr verstopfte Gemeinden im bayerischen Inntal, „zumal wir hier auch den Ziel- und Quellverkehr aus Tirol aufnehmen.“ Aber eigentlich möchte der Spediteur etwas anderes: „Ich würde gerne sehr viel Verkehr auf die Schiene verlagern.“ Im eigenen Unternehmen praktiziert Dettendorfer das. Allein der Logistikpark in Kiefersfelden, mit Gleisanschluss, spare pro Jahr 15.000 Lkw-Fahrten ein, weil der dort gelagerte Treibstoff per Bahn kommt.
Auch das Bürgerforum Inntal will laut einer Presseerklärung schnell mehr Güter auf die Schiene bringen. Das könne sofort geschehen, so der Vorsitzende Jakob Mangold-Boldt, die Bestandsstrecke im Inntal weise genügend freie Kapazität auf. Dem widerspricht Dettendorfer: Aus gut unterrichteten Kreisen wisse er, dass aktuell maximal 20 Züge mit maximal 40 Lkw pro Zug je Richtung mehr durchs Inntal fahren könnten. Ein Sprecher der Deutschen Bahn bestätigt: rund 40 wirtschaftlich sinnvolle Trassen je Tag seien derzeit als Rest-Kapazität verfügbar.
Dennoch hält Fischer es für möglich, innerhalb von fünf Jahren zehn Prozent des Lkw-Verkehrs durch Tirol auf die Schiene zu bringen. Allerdings müssten sich die Politiker einig sein: „Die Unternehmen brauchen Investitionssicherheit, wenn sie ihre Fahrzeuge technisch umrüsten“, so Fischer.
„Ich habe etliche Kunden, die uns verbieten, ihre Waren auf die Schiene zu verlagern“, sagt Dettendorfer. Weil die Güter nicht zügig genug dort ankommen, wo sie hin sollen. Unpünktlichkeit, Baustellen und Zugausfälle tragen dazu bei. Eine Beschleunigung sei möglich, brauche aber nicht nur Zeit, sondern auf einige Anstrengungen – nicht nur in Deutschland. Ja, die Bestandsstrecke im Inntal müsse dringend ertüchtigt werden. Aber auch die Umladeterminals in Bayern und Tirol könnten derzeit nicht mehr Güterverkehr schneller ans Ziel bringen. „Da müssen sich die Tiroler auch an der eigenen Nase packen.“
Dettendorfer ist bekennender Verfechter der dritten und vierten Bahntrasse durchs Inntal. Das alleine aber reiche nicht. Denn auch im Rheintal – und damit durch die Schweiz in den Süden – sei das Schienennetz nicht ausgebaut, „das wurde verschlafen“. Der Deutschen Bahn schreibt der Logistiker ins Stammbuch: „Die müssen in Sachen Pünktlichkeit und Qualität richtig was tun, das ist auch klar.“
Eine Alpentransitbörse, wie sie auch das Bürgerforum Inntal befürwortet, sei immer wieder Thema. Ausgereifte Pläne gebe es aber nicht und er halte die Umsetzung für schwierig, so Dettendorfer. Zum einen, weil sich Deutschland, Österreich, die Schweiz und Italien einigen müssten, wie groß die Kontingente an den acht großen Alpenüberquerungen seien. Zum anderen, weil die Erfahrung mit Kontingenten im Warenverkehr mit Russland gezeigt hätten, dass kurz vor Erreichen des Limits die Preise für die Einfuhrerlaubnis schnell auf das dreifache des Tarifs steigen. Und: Der freie Warenverkehr ist einer der Grundpfeiler der EU, „darf nur im äußersten Notfall eingeschränkt werden“.
Genau das geschehe aber durch die Blockabfertigungen und deswegen sei das Grund für eine Klage der EU gegen Tirol, so die CSU-Resolution. „Wir müssen uns von Tirol nicht alles gefallen lassen“, sagt Stöttner.
Was den Tourismus-Experten der CSU und Präsidenten des Tourismusverbandes Oberbayern/München Klaus Stöttner außer der Belastung für das Inntal und seine Bewohner an der verfahrenen Situation zudem ärgert: „Unsere Region ist ein Aushängeschild für schöne Landschaft. Wer aber auf dem Weg zur Skipiste von Holzkirchen bis Kufstein im Stau gestanden hat, dem reicht‘s. Der kommt bestimmt nicht im Sommerurlaub hier her. Das Ganze ist also auch noch absolute Negativwerbung.“