1. wasserburg24-de
  2. Wasserburg
  3. Region Wasserburg
  4. Wasserburger Frühlingsfest

Warm, eng, aber richtig schön

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

null
© Heck

Wasserburg - „Jetzt wird‘s aber langsam Zeit, dass Du im Dirndl kommst“. Jahrelang jedes Jahr beim Bieranstich des Frühlingsfestes das Gleiche.

„Ja, klar! Ich im Dirndl – und kaum mache ich den Mund auf, ist das Thema durch.“ Zu norddeutsch ist auch nach drei Jahrzehnten in Franken und Bayern die Sprache. „Ja, aber Du hast doch . . .äh . . .“, der Blick geht ein Stück tiefer. Genug Holz vor der Hütten? Ganz sicher. „Nee, Dirndl nur, wenn‘s wieder ein Wasserburger Dirndl gibt.“ Damit war Ruhe, denn das Wasserburger Dirndl gab es nur in den Schränken oder auf Dachböden alteingesessener Wasserburger.

Eines Tages: „Sylvia, jetzt bist Du fällig! Meine Frau lässt das Wasserburger Dirndl wieder aufleben“, verkündet ein grinsender Michael Kölbl. In der Tat: fällig. Also auf zu Margarethe Kölbl, meterweise Leinen im Blaudruck bestellen. Und entscheiden, ob es ein Blusen- oder ein Spenzerdirndl werden soll. Die Mehrheit entscheidet zugunsten des Blusendirndls.

Das Warten auf den Stoff beginnt. Irgendwann ist er dann da, die befreundete Schneiderin ist vorgewarnt, der Termin zum Vermessen steht. Das bekommt die aus Westfalen stammende, seit 18 Jahren in Oberbayern lebende Kollegin mit. „Oh, ich wollte doch auch schon seit längerem ein Dirndl! Aber ich weiß nicht, ob die Bayern dann nicht sagen: ‚Typisch Preißin, muas des sei?‘“

Wer kann die Frage, ob Preißinnen Dirndl tragen dürfen – und welche Fettnäpfchen dabei tunlichst auszulassen sind – besser beantworten als eine gelernte Dirndlschneiderin, zugleich Trachtenpflegerin des 99 Jahre alten GTEV „Almrausch“? „Sicher können auch Preißinnen, die nach der Schrift sprechen, ein Dirndl tragen – wenn sie dazu stehen“, beschwichtigt Rosa Grasberger.

Fotos vom Frühlingsfest am Donnerstag:

„Ein paar Regeln sollten eingehalten werden, damit es nicht ein typisches Preiß‘n-Dirndl wird.“ Wie das aussieht, erläutert sie uns bei einer spontan einberufenen Dirndl-Lehrstunde in der Redaktion: Das Dirndl, in dem sich jede Preißin sofort als solche outet, ist in der Regel zu bunt, zu grell, zu kurz und zu verrüscht. Wie so oft im Leben heißt es nämlich auch beim Dirndl: „Weniger ist mehr!“ Schlicht sollte es sein. Zu viele Spitzen und Schleifen und Rüschen: „Das ist einfach kitschig“, warnt Rosa Grasberger. Kommt uns sehr entgegen.

Die eigene Lieblingsfarbe darf die Trägerin nach ihren Angaben jedoch gerne wählen: „Heuer stehen Türkis, Lila und Pink sowie leuchtendes Grün hoch im Kurs.“ Die Klassiker aber sind Schwarz, Blau und dunkles Grün. „Ich selber lange auch gerne zu bei den Farben“, gibt die Trachtenpflegerin schmunzelnd zu. Ungefähr 25 Dirndl hängen in ihrem Kleiderschrank – in vielen unterschiedlichen Farbkombinationen.

Also: Farblich sind keine Grenzen gesetzt, doch wir beiden Zuagroasten haben noch weitere Probleme zu klären: Die eine hat, wie erwähnt, kräftig Holz vor der Hütten, die andere eher wenig, die eine ist passend zur üppigen Oberweitenausstattung stolze 1,80 Meter groß – „barfuß!“ – und barock gebaut, die andere kommt gerade mal auf 1,56 Meter. „Jede Frau kann ein Dirndl tragen“, weist Rosa Grasberger die leicht verlegen vorgetragenen Figurabweichungen von den Standards weiblicher Rundungen und Staturen rigoros zurück. „Zu viel Holz vor der Hütten“ gibt es gar nicht, zu wenig: Da hilft ein Dirndl-BH, der die bescheidenen weiblichen Rundungen pusht und im Ausschnitt perfekt in Szene setzt, verspricht sie. Und kleine Frauen tragen am besten ein wadenlanges Dirndl: Das streckt, ist sie überzeugt.

So gerüstet geht es gemeinsam zu Trachten Kollmann. Hier ist die Preußin auf Dirndlschau erst einmal erschlagen von der großen Auswahl. Der Griff geht spontan zu den Gewändern in den Lieblingsfarben Lila und Grün. Margot Kollmann kommt zur Hilfe, greift zielsicher nach geeigneten Exemplaren ohne viel Schnickschnack.

In der Umkleidekabine entpuppt sich die Anprobe als schweißtreibende Tortur: Zig Knöpfe lösen, denn ein richtiges Dirndl besitzt, wie Rosa Grasberger betont hat, eng aneinander genähte Knöpfe und – niemals!!! – einen Reißverschluss. Schnell hineinschlüpfen? Fehlanzeige. Erst müssen die vielen Knöpfe wieder geschlossen werden, je höher die Finger wandern, umso enger wird die Taille eingeschnürt. Und beim ersten Dirndl auch die erblich bedingt spärliche Oberweite.

Zum Schluss noch die Schürze umgebunden: rechts geknotet, weil verheiratet. Im Spiegel schaut der „Preißin“ eine Fremde entgegen, aber die bejeanst auf der Treppe hockende Kollegin kommentiert „doooch!“ – und steht mit einem weiteren Kleiderstapel zum Probieren parat. Mittlerweile steht fest: Es gibt eine weitere Problemzone: die nicht perfekt gestrafften Oberarme. Die Bluse mit den Puffärmeln wird gegen eine schlicht geschnittene mit längeren ausgetauscht. „Sie könnten‘s ja noch mit einem Dirndl-BH probieren, der hebt an“, schlägt Margot Kollmann vor. „Oh ja, unbedingt!“

Margot Kollmann lässt außerdem nicht locker: Nach vielen Dirndln in modischen Farben – am überzeugendsten fällt die lila Variante aus – überredet sie zu einem Versuch in schlichtem Rot und Blau. „Langweilig“, so der erste Eindruck. Doch, runter vom Bügel, ran an die Frau, ist die Wirkung verblüffend: Das traditionelle lange Kleid mit der roten Schürze ist das ideale Dirndl für eine Mittvierzigerin – zeitlos, elegant, einfach perfekt! „Das können Sie auch noch in 20 Jahren tragen“, verspricht Margot Kollmann. Stimmt. Nur auf der Waage darf angesichts der eng geschnürten Taille kein einziges Kilo dazukommen.

Nach einer Stunde verlassen wir mit Dirndl-BH, Bluse, Dirndl und Schürze versehen zufrieden das Geschäft. Die Erste ist ausgestattet – und fühlt sich nicht verkleidet.

Daheim ruft die Familie zur Modenschau: Die Söhne sind skeptisch, der Ehemann erwartet mit bewölkter Stirn die optisch zur Bayerin mutierte Ehefrau. Umso erstaunlicher das Echo auf den Auftritt im Wohnzimmer: „Das sieht toll aus“, sind sich alle einig. Schnell wird noch die Nachbarin herbeigeholt, eine Ur-Bayerin. „Des deafst scho drong“, bestätigt auch sie.

Das zweite Dirndl, das eigentlich das erste war, wächst derweil im Schneideratelier von Veronika Herwegh. Der für das Wasserburger Dirndl typische Blaudruck wurde geliefert, Knöpfe, Schürzenstoff und weiteres Zubehör findet die Schneiderin bei Trachtenstoffe Huber - wo die Inhaberin auf die Frage nach dem Schürzenstoff schon automatisch zum richtigen Ballen greift, denn es gibt mittlerweile rund zwei Dutzend neue Wasserburger Dirndl.

"Kannst anprobieren kommen, ich wär' so weit" heißt es eine Woche vor dem Bieranstich. Na dann! Vorsichtig einsteigen, schließlich ist noch nichts endgültig zusammengenäht... Vroni hilft und amüsiert sich über das "Uff" beim Schließen der Knöpfe. Ein himmelweiter Unterschied zu den geliebten lässigen Reinschlüpfklamotten. An den Füßen aber, da bleibt es gewohnt bequem: Im heimischen Schuhschrank gibt es dunkelrote Ballerinas, die farblich und auch sonst perfekt passen. Dieser Stilbruch weg vom traditionellen Schwarz muss sein - Entschuldigung, Frau Grasberger!

"Hätt' ich nicht gedacht, dass Dir das so gut steht", gibt die Schneiderin grinsend zu. Wer solche Freundinnen hat... Zwei Frauen schauen sich zufrieden im Spiegel an. "Am Montag bin ich fertig!" - passt. Das Dirndl auch, wie eine zweite Haut. Die Knöpfe werden zur echten Herausforderung, Scheitern droht, zumal der Blick nach unten ebenfalls erblich bedingt erschwert wird: Das Holz vor der Hütten ist im Weg, füllt aber dafür den Ausschnitt bestens aus. Schürze um, Schleife links, da nicht vergeben.

Ungeahnte Erschwernisse treten am Tag des Bieranstiches, an dem die Dirndl öffentlich Premiere feiern, auf. Beim Autofahren ist die Masse Stoff im Weg, beim Treppensteigen auch. Röcke raffen ist angesagt, sonst steigen wir uns selbst auf den Saum. Am Schreibtisch ist Geradesitzen Pflicht, aber nach einiger Zeit haben wir uns an das enge Mieder gewöhnt und staunen darüber, wie warm so ein Dirndl die Trägerin einpackt. Die ersten Kommentare der Umwelt sind durchweg positiv, nichts von wegen "muas des sei?"

Derart bestätigt fühlen wir uns beim ersten öffentlichen Auftritt beim Frühlinsfest richtig wohl im Dirndl. Nach ein paar Stunden auf der Bierbank, einer Mass Festbier, einer Riesenbreze und einem halben Hendl wird das Mieder doch wieder etwas unbequem. Das ist vergessen, als ein junger Bursch in kurzer Lederhose grinsend auf den Tisch zusteuert: Tobias, vor 19 Jahren in Lengerich in Westfalen geboren und seit dem ersten Lebensjahr in Bayern mit der bayerischen Sprache aufgewachsen, hat sich - von der Mutter und deren Kollegin inspiriert - die erste Lederhose seines Lebens gekauft.

Heike Duczek und Sylvia Hampel/Wasserburger Zeitung

Auch interessant

Kommentare