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Hilferuf der Hausärzte in der Region Rosenheim: „Die Situation ist uns entglitten“

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Von: Michael Weiser

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Spitze an der Spritze: Die Hausärzte würden gerne noch mehr impfen, bekommen aber oft die nötigen Impfdosen nicht. Das ist nur ein Grund für die Wut auf Gesundheitsminister Spahn. Foto dpa
Spitze an der Spritze: Die Hausärzte würden gerne noch mehr impfen, bekommen aber oft die nötigen Impfdosen nicht. Das ist nur ein Grund für die Wut auf Gesundheitsminister Spahn. © picture alliance/dpa

Personal an der Grenze der Belastbarkeit, Patienten, die abgewiesen werden müssen, Impfdosen, die nicht kommen: Nach der Krise auf den Intensivstationen verschärft sich die Lage auch in den Hausarztpraxen der Region Rosenheim. Es wächst der Zorn auf die Politik.

Rosenheim – Die Testpflicht fürs Personal der Praxen wurde am Mittwochabend noch gekippt, das immerhin, die Entscheidung verhinderte womöglich den Aufstand. Noch. Denn es rumort weiter bei den Hausärzten: zu spät das Boostern und der Lockdown, zu wenig an Impfstoff, zu viel der Verunsicherung und der Arbeitsbelastung. Und viel zu viele Fehler in der Corona-Politik.

„Laienschauspieler“, schimpft Dr. Nikolaus Klecker, Bezirksvorsitzender der kassenärztlichen Vereinigung, „Dilettanten“ sein Kollege Dr. Fritz Ihler, Vorsitzender vom Ärztlichen Kreisverband Rosenheim über die Gesundheitspolitiker.

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Der Ärger der Allgemeinmediziner ist um so bedenklicher, erinnert man sich an den Eifer, mit dem sie sich noch im Frühling in die Impfkampagne gestürzt hatten. Der Elan von damals weicht mehr und mehr Erschöpfung und Frust.

Hausärzte in der Region Rosenheim: Arbeiten an der Belastungsgrenze

Die Hausärzte sind in Not, ihre SOS-Signale nicht mehr zu überhören. Da warnt ein Hausarzt auf seiner Homepage seine Patienten vor, dass aufgrund der Belastung während der Pandemie „geplante und aufschiebbare Untersuchungen bis auf weiteres“ nicht mehr durchgeführt werden könnten.

Auch wenn man sich derzeit in der Praxis auf Corona-Impfungen konzentriere, seien Wartezeiten mitunter nicht zu vermeiden. Denn: „Meine Mitarbeiterinnen und ich arbeiten aktuell an der Belastungsgrenze.“

Die Kollegen arbeiten „wahnsinnig viel“

So geht es auch Dr. Florian Bonke, Allgemeinarzt mit Corona-Schwerpunktpraxis im Inntal. „Ich weiß kaum, wie wir die nächsten paar Wochen schultern sollen.“ Fritz Ihler spricht von einer „katastrophalen Lage“, weil alle so „wahnsinnig viel arbeiten“. Man habe seine normalen Aufgaben auch noch, fügt Kinderarzt Otto Laub hinzu, „die Impfungen kommen quasi oben drauf“. Ihm hätten wegen Überlastung in den vergangenen Monaten zwei medizinische Fachangestellte gekündigt, berichtet der Pneumologe, der Vorsitzender des Paednetz Bayern ist.

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Vor diesem Hintergrund wäre eine tägliche Testpflicht für Ärzte und Mitarbeiter in den Praxen ein bürokratischer Witz gewesen. Den Hausärzten stinkt aber auch, wie spät mit dem Boostern begonnen wurde, obwohl entsprechende Studien aus Israel den hohen Wert der Auffrischungsimpfung bereits im Sommer belegten.

Lockdown und Boostern: Zu spät, um die Situation schnell unter Kontrolle zu bekommen

Es gibt noch mehr Versäumnisse, die nunmehr dazu beitragen, dass die Ansteckungszahlen nach oben schnellen. „Der Lockdown kam zu spät“, sagt nicht nur Florian Bonke. „Die Situation ist mittlerweile außer Kontrolle“, stimmt ihm Fritz Ihler zu. Man dürfe nicht nur die hohe Auslastung der Intensivstationen betrachten, sondern müsse auch sehen, was an wichtigen Untersuchungen und Behandlungen von Nicht-Covid-Patienten aufgeschoben werde.

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Hinzu kommen widersprüchliche und missverständliche Aussagen der Politik – wie zuletzt von Gesundheitsminister Jens Spahn zur Rationierung des Biontech-Impfstoffs. „Dann hätte er wenigstens klarstellen müssen, dass Biontech an die Kinder- und Jugendärzte gehen“, sagt Otto Laub. „Gemäß der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission, die für unter 30-Jährige von Moderna abrät.“ Die Signale aus Berlin seien immer wieder verheerend, sagt der Arzt und redet sich den Frust von der Seele. „Wir kommen zu spät und zu langsam, wir agieren in Deutschland zu undurchdacht.“ Kollege Klecker wird noch deutlicher: Er spricht von „politischer Geisterfahrt“. Kurz und knapp: „Ich fühle mich verarscht.“

Mangel an Impfdosen: Verpufft so der Aufruf der Hausärzte?

Der Frust der Hausärzte rührt auch daher, dass sie – neben vielen anderen Medizinern aus der Region – in großer Vehemenz an die Menschen appelliert haben, sich endlich impfen zu lassen. Nun aber können sie manchmal selbst nicht liefern. Erst am vergangenen Montag erschien in den OVB-Heimatzeitungen ihr Aufruf, unterschrieben von über 500 Ärzten. Und jetzt – haben viele von Ihnen nicht genügend Impfdosen zur Verfügung. Zum Verzweifeln findet‘s Fritz Ihler: „Eine fürchterliche Situation.“

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Fürchterlich wohl auch deswegen, weil eben der Mangel an Nachschub den Medizinern schon im Sommer das Leben schwer gemacht hatte. Es ist, als drehe man sich in einer Endlosschleife.

Hausärzte müssen auf ausreichende Impfstofflieferungen hoffen

200 Impfungen könnte er die Woche vornehmen – manchmal aber komme nicht mal die Hälfte des dafür benötigten Impfstoffs, sagt Ihler. Die Folge sind Chaos und zusätzliche Mehrarbeit bei der Terminverwaltung. „Wenn man 100 Menschen zum Impfen einlädt und 30 Dosen bekommt, dann erzeugt das Unmut bei Besuchern wie Mitarbeitern.“ Allerdings ist die Kundschaft manchmal auch erst das Problem. Sieben Spritzen habe er am Donnerstag aufgezogen, für vereinbarte Impfungen, sagt Klecker. Gekommen sei niemand, und nicht einer habe abgesagt. „Das macht uns ebenfalls Probleme..“

Angefressen war gestern am späten Nachmittag dann auch Otto Laub. Da hatte er gerade die Mitteilung bekommen, was er bekomme, berichtete er den OVB-Heimatzeitungen: „60 Prozent weniger.“

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