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Ein Karree mit Leuchtturm: Wie sich am Gillitzerblock Rosenheims Zukunft entscheidet

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Von: Michael Weiser

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Ein Stück Großstadt am Rande der Kleinstadt: Die Südwestspitze des Gillitzerblocks mit dem Kaufhaus Wilhelm, einem Vorläufer von Karstadt (Foto links). Rechts im Bild: Die Karstadt-Filiale in Rosenheim heute.
Ein Stück Großstadt am Rande der Kleinstadt: Die Südwestspitze des Gillitzerblocks mit dem Kaufhaus Wilhelm, einem Vorläufer von Karstadt (Foto links). Rechts im Bild: Die Karstadt-Filiale in Rosenheim heute. © Archiv Herbert Borrmann/ Schlecker

Dieses Eck der Stadt war schon immer besonders: Mit dem Gillitzerblock katapultierte sich Rosenheim in die Moderne. Und bis zum heutigen Tag zeigt sich der Wandel dort deutlicher als sonst in der Stadt. Entscheidet sich dort Rosenheims Zukunft erneut? Eine Rückblende.

Rosenheim - „Die Bauten“, so schrieb Ingeborg Armbrüster auf den Seiten des Stadtarchivs Rosenheim über den Gillitzerblock, „hätten in jeder damaligen Großstadt stehen können.“ Klingt nach „beliebig“. Bedeutet aber: „ganz und gar besonders“. Denn diese Gebäude standen eben nicht in einer Großstadt. Sondern in einer ganz normalen, noch sehr ländlichen bayerischen Kleinstadt. In Rosenheim.

Gillitzer bringt den Gründerzeit-Boom nach Rosenheim

Rosenheim in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts: Das waren vielleicht 12.000 Einwohner. Und neben Saline, Bädern und Bahnhof war da nicht viel Städtisches zu finden. Bis Thomas Gillitzer kam. Gastwirt, Grundstücksspekulant, Geschäftsmann. Er war derjenige, der den Boom der Gründerzeit mit einiger Verspätung nach Rosenheim brachte.

Der Gillitzerblock: Bausünde und Zukunftsprojekt

Gillitzer kaufte ab 1893 zwischen Prinzregenten-, Münchner- und Herzog-Heinrich-Straße (später: Gillitzerstraße) großzügig Grund an. Und baute, je nach Standpunkt, größenwahnsinnig oder visionär: 15 Gebäude, Wohnhäuser mit Läden, das Hotel „Deutscher Kaiser“ und das Bismarck-Bad. Die Innenausstattung aufwändig, die Fassaden im Stil der Neo-Renaissance und des Neu-Barock. Eine Anmutung wie in München, Wien oder Paris. Ganz schön dick aufgetragen für Rosenheim. „Eigentlich“, so sagt es Geschichtskenner und Foto-Sammler Herbert Borrmann, „begann der Gillitzerblock als Bausünde.“

Wie‘s Rosenheim geht? Man sieht es am Gillitzerblock

Wenn man so will, war der Gillitzerblock von Beginn an auch Rosenheims Labor der Moderne. An dem keilförmigen Areal ließ und lässt sich ermessen, wie es der Stadt geht. Boom und Niedergang - alles zeigt sich dort. Im Handel und Wandel. Im Herunterkommen der Häuser. In Abriss, Wiederherstellung und Neubau. Im Aufblühen neuer Geschäftsmodelle. Und in ihrem Scheitern.

Deswegen richten sich die Blicke von Stadtverwaltung und Bürgern jetzt wieder auf den Gillitzerblock. Genauer: auf seine südwestliche Spitze. Dorthin, wo Karstadt so etwas wie ein Leuchtturm an der Einfahrt zur Innenstadt darstellt. Dorthin, wo nächstes Jahr vermutlich die Lichter ausgehen. Das drohende Aus nach 66 Jahren kommt „unerwartet und ist eine ganz schlechte Nachricht für die Einkaufsstadt Rosenheim“, wie Anton Heindl vom Gewerbeverband Rosenheim sagt.

Karstadt in Rosenheim - eine Sensation weit über die Landkreisgrenze hinaus

Er kann sich an Rosenheim zur Wirtschaftswunderzeit erinnern. Und an die Eröffnung des zu Karstadt gehörenden Warenhauses von Oberpollinger im Jahr 1957 - eine Sensation zur damaligen Zeit. Auch wegen der Rolltreppe. „Die Kunden kamen in Scharen“, erzählt Heindl.

„Die Städter, die Landbevölkerung aus der Rosenheimer Region und weit darüber hinaus, dazu kamen auch viele Tiroler oder Besucher aus dem Salzburgerland zum Einkaufen ins Kaufhaus Karstadt. Es war schick, bei Karstadt einzukaufen.“

Schon vor Karstadt hatte der Handel dort sein Zentrum

Als Heindl diese Eindrücke aufnahm, war die Warenhaus-Tradition an dieser Stelle im Gillitzerblock schon sehr alt. zunächst entstand dort das Kaufhaus Wilhelm. 1957 wurde es von Oberpollinger übernommen. Bis dahin steckte noch sehr viel Gillitzer im Block. 1968 war damit Schluss. Karstadt riss den alten historischen Kuppelbau ab, baute bis 1970 neu. Der Neubau entfesselte Diskussionen. Wegen seiner gewagten Waschbeton-Fassade. Brutal. Aber irgendwie auch modern.

So sah es in den 70er Jahren bei Karstadt in Rosenheim aus.
So sah es in den 70er Jahren bei Karstadt in Rosenheim aus. © Archiv Herbert Borrmann

Drinnen gab‘s ein vergrößertes Sortiment zu bestaunen, eine Cafeteria lockte, das ehrwürdige Modell des Warenhauses nahm in der Ära der heiteren Spiele von München nochmals Fahrt auf. Die Dachterasse von Karstadt war nicht nur krönender Abschluss des Konsumtempels. Es war Treffpunkt der Rosenheimer.

1997 baute Karstadt die Fassade nochmals um - zum wohl allerletzten Mal

Karstadt gehörte zu Rosenheim - so wie die Mangfall. Etwas Natürliches, etwas, das eigentlich schon immer da war. Der Pegel war mal höher, mal niedriger. Aber - es floß immer. Wasser genauso wie Geld. 1997 präsentierte sich Karstadt nochmals rundumerneuert. Die Waschbetonfassade wurde gestutzt, durchbrochen und mit einem Glasumbau versehen. Für sagenhafte 130 Millionen Mark kauften die Kunden allein in den ersten zwölf Monaten danach ein. Doch die goldenen Zeiten neigten sich dem Ende zu.

Vor allem, als das Internet aufkam. Karstadt wurde nie wirklich zu einem Onlinehändler. Hinzu kamen Managementfehler, eklatant und zahlreich. Karstadt war schwach, bevor es den Corona-Virus einfing und Lockdowns ihm die Luft abschnürten. 2009 setzte es die erste Pleite, es folgte die Insolvenz von 2020.

Mit dem Aus rechnete wohl niemand

2022, im Herbst erneut: eine Pleite im Schutzschirmverfahren, das es dem Konzern erlaubte, in eigener Regie einen Sanierungsplan aufzustellen. Dass dieser Plan erneut Streichungen von Filialen vorsehen würde, war klar. Aber Rosenheim?

Ein Schlag. Unerwartet. Und schockierend. Anton Heindl ist nicht der einzige, der im drohenden Aus die Gefahr eines „Todesstoßes“ für die Einkaufsstadt sieht. Weil so viel Kaufkraft an so einem Warenhaus hängt, so viel Magnetwirkung an auswärtige Besucher. Ja, war schon so: Früher kam man mal wegen Karstadt nach Rosenheim. Handkungsbedarf sieht auch Andreas Bensegger von der IHK Rosenheim: Der Umbau habe im Prinzip mit der Schließungsnachricht begonnen.

Wie offen die Zukunft ist, zeigt sich nun erneut am Gillitzerblock

Was tun mit dem exponiertesten Punkt des exponiertesten Karrees in Rosenheim? Die Zukunft scheint offen. Bald wird Karstadt in Rosenheim endgültig Geschichte sein. Oder auch nicht. Es könnte ja sein, dass sich Galeria umentscheidet. Und dass das neue Karstadt-Konzept funktioniert. Es könnte sich auch ein Investor finden.

Womöglich muss sich aber auch Rosenheim an diesem Punkt neu erfinden. So wie das damals einem Thomas Gillitzer für die Stadt gelungen ist - mit Optimismus und Unternehmergeist. 125 Jahre nach seinem Jahrhundertprojekt scheinen diese Tugenden wieder sehr gefragt zu sein.

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